Der moderne Mitarbeiter als Entrepreneurial Employee
Zuletzt aktualisiert am 16. Januar 2022 um 19:00 Uhr.Die letzten Jahrzehnte zeichneten sich durch Änderungsprozesse aus, die neben Umwelt, Politik, Gesellschaft und Wirtschaft auch die Arbeitswelt prägten. Der digitale Wandel stellt Unternehmen und seine Mitarbeiter kontinuierlich vor neue Herausforderungen. Gleichzeitig ergibt sich die Möglichkeit die eigene Arbeitswelt aktiv mitzugestalten. Was es braucht, sind transparente und flexible Unternehmen und die Förderung von Entrepreneurial Employees.
Office Space im Jahr 1982
So sah ein Arbeitsplatz 1982 aus: Als technische Unterstützung ein Computer, ein Telefon und ein Faxgerät. Auf dem Schreibtisch ein Filofax mit allen Telefonnummern, die man anrufen müsste, um den Job zu machen. Im Tischkalender alle sich jährlich wiederholenden Branchen-Events, die in den nächsten 12 Monaten besucht würden. Arbeit von 08:00 bis 17:00 Uhr, um 12:00 Uhr eine Mittagspause von 45 Minuten.Man wusste am Morgen, wie der Arbeitstag verlaufen würde, man wusste, wie der Monat, das Jahr und eigentlich auch das gesamte Arbeitsleben verlaufen würden.
Es ist ein gutes Gefühl, wenn man seine Ziele kennt und weiß, wie man sie in welcher Zeit erreichen wird. Es vermittelt Sicherheit, es vermittelt Wärme und manchmal sogar "Heimat". Hier in Deutschland gab es einmal einen Werbe-Claim: "Erfolg ist planbar". Der Erfolg des Mitarbeiters war so, wie der Erfolg des Unternehmens selbst planbar, denn er beruhte auf erprobten Routinen, die sich wiederum an den Gegebenheiten der Umwelt ausrichteten.
Die 80er-Jahre – Das symmetrische Jahrzehnt
Die Umwelt in den 80er-Jahren waren in jeglicher Hinsicht wunderbar symmetrisch:
- Gut kämpfte gegen Böse
- die freie Welt gegen den Kommunismus,
- Ronald Reagan gegen Breschnew,
- Rocky Balboa gegen Apollo Creed,
- Coca Cola gegen Pepsi und
- Apple gegen IBM
Es gab uns und den Wettbewerber auf unserem lokalen Markt. Es gab Bosse und Angestellte. Man konnte sich schneller entscheiden, denn es gab weniger Alternativen. Diese Welt war einfacher. War sie das? Nein. Die Welt war schon immer komplex.
Schau dir einfach den Wikipedia-Eintrag von Henry Kissinger an und versuch, dich in den dort genannten historischen Konflikten für eine Seite zu entscheiden – schier unmöglich. Die Welt schien uns einfach, weil wir nur einen sehr kleinen Ausschnitt betrachteten. Uns fehlten die Informationen.
Das Internet und der „Information Impact“
1989 betrat Tim Berners Lee die Bühne der Welt und schenkte der Menschheit ein zweites Mal nach Prometheus das Feuer – in Form von öffentlich verfügbaren Informationen über das World Wide Web.
Waren die Vorläufer des Internets noch geschlossenen Gruppen wie dem Militär oder Forschungseinrichtungen vorbehalten, konnte nun der gemeine Bürger und auch der Unternehmer an der Kommunikation teilnehmen und Informationen austauschen.
Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht absehbar, dass es innerhalb einer Dekade möglich wäre, ein Vermögen mit ausschließlich digitalen Informationen zu machen – und dieses Vermögen ebenso schnell zu verlieren. Es war nicht absehbar, dass innerhalb zweier Dekaden mittels digital verfügbarer Informationen ganze Staaten ins Wanken gebracht würden.
Es war nicht absehbar, dass innerhalb dreier Dekaden Unternehmen, die mit Informationen im weitesten Sinne handeln, höher bewertet würden als Unternehmen, die mit Maschinen physische Produkte herstellen und danach an ihre Kunden verkaufen.
Die durch das Internet verfügbar gemachten Informationen haben die Entwicklungsgeschwindigkeit der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Prozesse nicht nur erhöht, mit den unbegrenzt verfügbaren Informationen wurden die traditionellen Rollen, die immerwährenden Konflikte und die langfristigen Planungen der Vergangenheit fragmentiert.
Wer unbegrenzte Chancen und Möglichkeiten hat, der kann im Entscheidungsprozess an der schieren Optionsvielfalt scheitern und in eine Starre verfallen. Oder er nutzt die Chance. Das gilt für Menschen wie für Unternehmen.
Amazon und das „Fragmented Age“
Es gibt kein Unternehmen, das die Chancen und Möglichkeiten derart genutzt hat, wie Amazon. Jeder kennt die Geschichte von Jeff Bezos und hat sich eine Keynote von ihm angesehen.
Gestartet als Bücherversand ist Amazon heute eine Online-Videothek, ein Hörbuchanbieter, eine Download-und Streaming-Plattform für Video und Musik, Videospiele und Software, ein Lebensmittellieferant, ein Logistikdienstleister, ein Datenhoster, Shopanbieter und Zahlungsabwickler, ein Buchdrucker und Buchverlag sowie ein Portalbetreiber für Unternehmen und Organisationen wie Target, die NBA, Sears Canada, Bebe Stores, Timex, Marks & Spencer, Mothercare und Lacoste.
Nebenher betreibt Amazon einen Club für Produkttester, sein Analyse-Tool Alexa, einen Marktplatz für Produkte, aber auch einen Marktplatz für einfache Arbeiten über das Internet – Mechanical Turk. Amazon verfügt außerdem über eigene Handelsmarken und betreibt neuerdings ein Filmstudio.
Gibt es eine Systematik in dieser Ansammlung? Ja. Jeff Bezos hatte von 1994 bis zum Platzen der Dotcom Bubble genug Zeit, sich Gedanken zu machen, wie er unter Rückgriff auf seine wichtigsten Assets sein Geschäft diversifizieren und sein Risiko streuen könnte.
Seine wichtigsten Assets waren aus meiner Sicht:
- Access: Eine breite Kundenbasis, deren Beziehung er weiter monetarisieren könnte.
- Infrastructure: Durch die digitale Abwicklung des Kaufprozesses eine funktionierende und skalierbare Infrastruktur.
- Operations: Erfahrungen in den Vertriebs- und Logistikprozessen physischer und digitaler Produkte.
Sein wertvollstes Asset waren jedoch seine Mitarbeiter. Mitarbeiter, die genauso wie er selbst waren und sind:
- Interessiert: Sie sind gute "Zuhörer", sie interessieren sich für die Bedürfnisse ihrer Kunden.
- Kreativ & flexibel: Sie sind bereit, Produkte in agilen Prozessen am Kunden zu entwickeln und gegebenenfalls zu verwerfen.
- Leidenschaftlich: Sie betrachten ihren Job als Berufung.
Seine Mitarbeiter sind Unternehmer.
Das 21. Jahrhundert – der Mensch in einer asymmetrischen Welt
Der Mensch steht im Zentrum. Er ist kreativ, er reflektiert, trifft Entscheidungen, er kommuniziert sie. Weil die Entwicklungsprozesse schneller geworden sind und die Welt fragmentierter geworden ist, müssen in derselben Zeit mehr Entscheidungen diskutiert und getroffen werden.
Deshalb ist mein Computer mit Cloud-Anbindung das entscheidende und letztlich verbleibende Arbeitsmittel. Es ist der ultimative Auslagerungsort meiner Gedanken und Schnittstelle zur Umwelt gleichermaßen. Er ist mein Partner in crime.
Das hätte ich 1982 von einem Filofax nicht gesagt. Die Arbeit mit Informationen aus der Cloud, also der allgegenwärtige Zugang zu allgemeinen wie Unternehmensinformationen ermöglicht, dass ich von überall aus arbeiten kann. Jederzeit.
Ich bin frei in meiner Arbeit. Vielmehr: Ich habe die Freiheit zu definieren, wo die Leidenschaft von 2016 endet und wo der Job von 1982 beginnt. Ich muss diese Freiheit definieren, denn wenn ich meine Job-Definition von 1982 mit der Variabilität und Geschwindigkeit des 21. Jahrhunderts paare, ende ich unweigerlich im Burn-Out. Ich muss mein Arbeitsleben resetten.
Als Unternehmer muss ich meinen Mitarbeitern die Möglichkeiten eines neuen Arbeitslebens aufzeigen, um mit ihnen gemeinsam den Herausforderungen eines globalisierten Marktes zu begegnen.
Der „Entrepreneurial Employee“
Warum sollte ein Unternehmer das tun? Ganz einfach: Er gestaltet die Zukunft seines Unternehmens. Es ist sein Job, Informationen in Blogs und Foren zu sammeln, den Brotkrumen in sozialen Netzwerken zu folgen oder die Rohdaten von Business-Intelligence Tools zu interpretieren, um aus den vorhandenen Puzzle-Teilen die Zukunft seines Unternehmens zu bauen.
Seine Mitarbeiter sollen Produkte entwickeln, herstellen, vermarkten und vertreiben. Er ist der Lotse in eine unternehmerische Zukunft, er ist der Partner seiner Mitarbeiter.
Kein Gut und Böse, kein Boss und Angestellter.
Er muss die zukünftige Umgebung seiner Mitarbeiter gestalten. Er muss der Visionär sein, der nicht die Mikro-Perspektive des Mitarbeiters verliert. Dann ist er als Arbeitgeber attraktiv – für Bestandsmitarbeiter wie auch für neue Mitarbeiter. Ohne sie keine unternehmerische Zukunft.
Ich rede nicht von Tablets an jedem Arbeitsplatz oder dass jeder Mitarbeiter ein Social-Media-Profil haben sollte, um die Brand Awareness zu steigern. Es geht um die Teilhabe an Informationen sowie die Teilnahme an Prozessen, ja, auch an der Entscheidungsfindung.
Es geht um die Freiheit der Entscheidung im Kosmos des einzelnen Mitarbeiters. Der Unternehmer muss vermitteln, dass es ein tolles Gefühl ist, wenn die Dinge funktionieren, wenn sie wachsen.
Wir brauchen keine Angestellten, wir brauchen Entrepreneure.
Seit 1982 hat sich alles geändert: Arbeit, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt. Die Geschwindigkeit dieser Änderungsprozesse ist höher geworden. Das stellt Anforderungen an jedes Unternehmen wie auch an seine Mitarbeiter. Am Beispiel von Amazon zeigt sich, dass Unternehmen den digitalen Wandel erfolgreich bewältigen können.
Wie in jedem Makro-Prozess sind die Ursachen auf Mikro-Ebene zu finden — oder weniger abstrakt gesagt: Bei jeder Transformation kommt es auf den einzelnen Mitarbeiter an.
In Zeiten unbegrenzter Informationen bekommt er eine großartige Chance, die digitale Transformation seiner Umgebung mitzugestalten – wenn ihn sein Unternehmen lässt. Wenn die Strukturen transparent, flexibel und offen sind.
Ich bin davon überzeugt, dass dies jeder Mitarbeiter eines jeden Unternehmens als Chance und Opportunity begreift, begeistert die ihm offerierte Verantwortung übernimmt und so seine Rolle neu definiert – als Entrepreneurial Employee.
Wir möchten unser Team vergrößern. Wenn du dich als Entrepreneurial Employee angesprochen fühlst, schau dir unsere aktuellen Stellenausschreibungen an.
Gerrit Grunert ist Gründer und CEO von Crispy Content®. 2019 veröffentlichter er das bei Springer Gabler erschienene Standard-Werk "Methodisches Content Marketing" sowie die Online-Kurs-Serie "Making Content". Privat ist Gerrit ein leidenschaftlichen Gitarren-Sammler, liest gern Bücher von Stefan Zweig und hört Musik von vorgestern.